Interview mit Christoph Grunenberg
Ein früher Hundertwasser: der „Radfahrer im Regen“, aus dem Rotaprint-Portfolio für den Art Club Wien, 1951.
Quelle: Handout
Ausgerechnet mit einer Ausstellung über Friedensreich Hundertwasser eröffnet Christoph Grunenberg, neuer Chef der Kunsthalle Bremen, seine Amstszeit. Im Interview erzählt er, warum er Hundertwasser für unterschätzt hält.
Bremen. Herr Grunenberg, Sie waren Chef der Tate Liverpool, nun leiten Sie die Kunsthalle Bremen. Ihren Einstand in Bremen geben Sie mit Friedensreich Hundertwasser. Wieso ausgerechnet der Kitschkünstler?
Weiterlesen nach der
Anzeige
Weiterlesen nach der
Anzeige
Zu viele machen heute immer das Gleiche. Immer wieder werden dieselben großen Namen einem interessierten Stammpublikum dargeboten. Hundertwasser ist ein total bekannter Künstler. Im Grunde aber ist er unbekannt. Das heute vorherrschende Hundertwasser-Bild ist einseitig. Man kennt die Architekturwerke, die seit den siebziger Jahren entstandenen Grafiken, den grünen Aktivisten. Hundertwasser aber hat seit 1949 ernsthaft künstlerisch gearbeitet, und zwar in den Zentren der Avantgarde, in Wien, Paris, Venedig. Seine Werke befindet sich in allen wichtigen Museen: im Pariser Centre Pompidou, im Moderna Museet in Stockholm, in der Hamburger Kunsthalle, im Sprengel Museum Hannover. Aber er wird in diesen Museen praktisch nie gezeigt.
Was entleihen Sie aus dem Sprengel Museum?
Ein sehr schönes Bild aus den späten sechziger Jahren. Es würde mich erstaunen, wenn sich in Hannover irgendjemand erinnern könnte, wann es das letzte Mal gezeigt wurde.
Weiterlesen nach der
Anzeige
Weiterlesen nach der
Anzeige
Was war Auslöser Ihres Hundertwasser-Interesses?
Im Sommer 2005 kuratierte ich in der Tate Liverpool die Ausstellung „Summer of Love. Art of the Psychedelic Era“, die dann auch in Frankfurt, Wien und New York zu sehen war. Bei Recherchen in Wien stieß ich darauf, dass Hundertwasser schon früh psychedelische Kunstwerke schuf. Er experimentierte 1958, angeregt von Pariser Künstlern, mit halluzinogenen Drogen, also noch vor der eigentlichen psychedelischen Ära. Während der Experimente mit der pilzhaltigen Substanz Psilocybin entstanden Zeichnungen und Gemälde.
Zeigen Sie diese, und was ist darauf zu sehen?
Explodierende, auseinanderfließende Formen. Leider konnten wir die Blätter nicht bekommen, sie befinden sich in Privatbesitz. Nach zwei Versuchen stoppte Hundertwasser seine Drogenexperimente und sprach sich fortan gegen bewusstseinsverändernde Mittel aus.
Vor vier Jahren widmete Ihr Kollege Udo Kittelmann in Frankfurt Bernard Buffet eine Ausstellung, dem in den fünfziger Jahren hoch geschätzten und später als ,Kaufhauskünstler’ verpönten Maler.
Die Buffet-Ausstellung hätte ich gern selber gemacht. Sowohl Buffet als auch Hundertwasser sind in der Kunstwelt verschrien, beide werden nicht ernst genommen. Verglichen mit Hundertwasser aber war Buffet mit seinen zackigen, sperrigen, kantigen Figuren schon ein richtiger kitschiger Existenzialist.
Weiterlesen nach der
Anzeige
Weiterlesen nach der
Anzeige
Wollen Sie einen „guten“, frühen Hundertwasser vom späteren Kitschproduzenten abgrenzen?
Es geht eher um die Rückführung zu dem ursprünglichen Hundertwasser, der ein phantastischer Künstler war. Hundertwasser war ein Pionier auf ganz vielen Gebieten, beispielsweise der Aktionskunst, dem Umweltbewusstsein, dem kritischen Hinterfragen gesellschaftlicher Konventionen. Er war Ende der fünfziger Jahre einer der weltweit ersten Aktionskünstler überhaupt. Und 15 Jahre vor Joseph Beuys pflanzte er schon Bäume als künstlerischen Akt.
Bewegte sich Hundertwasser in den Fußstapfen der Lebensreformer der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert?
Ja, die Bezüge sind aber kaum wissenschaftlich erforscht worden. Hundertwasser schuf sich früh eine eigene Bekleidung, eigene Schuhe und aß hauptsächlich Nüsse und Körner. Bereits Mitte der fünfziger Jahre kreierte er eine Humustoilette und propagierte Brennnesselkost als Möglichkeit, mit wenig Geld in der Großstadt zu existieren.
Wie erwuchs dann aus dem Avantgardepionier der gefällige Hundertwasser?
Hundertwasser besaß als Persönlichkeit eine hohe Integrität. Er hat sich aber zu einem gewissen Grad dazu verführen lassen, am etablierten Museumsbetrieb vorbeizuarbeiten und neue Vertriebswege zu erproben. An kommerziellem Erfolg aber war er eigentlich gar nicht interessiert. Er steckte das Geld in sein Boot namens Regentag oder investierte es in ein Grundstück in Neuseeland, auf dem aber nur eine Hütte stand.
Weiterlesen nach der
Anzeige
Weiterlesen nach der
Anzeige
Wie hat sich der Hundertwasser-Markt entwickelt?
Am offiziellen Kunst- und Museumsbetrieb vorbei. Er schuf Grafiken in riesigen Auflagen, die technisch aber sehr innovativ waren. Es gibt von ihm 10000er-Auflagen, bei denen dennoch jedes Blatt verschieden ist. Die Grafiken haben ihren Wert gehalten und kosten zum Teil mehrere Tausend Euro. Gemälde kosten heute bis zu einer Million Euro.
Sie wollen in Bremen ein frühes Aktionskunstwerk Hundertwassers als Reenactment aufführen: „Die Linie von Hamburg“. 1959 hatte der damalige Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste gemeinsam mit Bazon Brock die Aktion durchgeführt, bei der Studenten eine Linie als Endlosspirale malten.
Ja, wir werden die Linie gemeinsam mit Bazon Brock im Geist des Originals rekonstruieren. Die wunderbare Aktion, die nicht nur eine der frühesten Performances war, sondern auch die Gattung der Environments vorbereitete, trug den Titel „Der Zug einer Linie aus dem Geist der Wüste. Ein Spiraloid jenseits des tachistischen Sumpfes. Das längste Gedicht der Welt“. Gut 50 Stunden lang malte Hundertwasser mit Studenten die Linie im Akkord. Sie wuchs horizontal über Wände, Waschbecken und Türen. Die Aktion fand im berühmten Atelier 213 statt, in dem später Sigmar Polke und andere bekannte Künstler arbeiteten. Dazu wurde gelesen, erzählt, arabische und japanische Musik gehört - bis sich bei den übermüdeten Akteuren eine Art Delirium einstellte. Das Datum und die Uhrzeit der Aktion hatte ein berühmter Hamburger Astrologe festgesetzt.
Bei der Ausstellung „Shopping“ in Ihrer Geburtsstadt Frankfurt haben Sie vor zehn Jahren die Kunst in den Stadtraum wachsen lassen. Planen Sie derartiges auch in Bremen?
Die „Linie“ wird sich im Stadtraum fortsetzen. Wir führen Hundertwassers Idee zu Ende. Er plante, die Linie aus der Akademie hinauswachsen zu lassen, die Treppe hinunter und bis in eine Galerie, die damals Werke von ihm zeigte. Die Aktion wurde aber vom Hochschulrektor und der Polizei gestoppt.
Weiterlesen nach der
Anzeige
Weiterlesen nach der
Anzeige
Interview: Johanna Di Blasi
HAZ